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Walter Schwahn, der Herborner Heimatdichter

Walter Schwahn, der Herborner Heimatdichter

Herborn, 06.02.2008: Walter Schwahn kam 1908 in Herborn zur Welt. Sein Geburtshaus, ein kleines Fachwerkhaus am Schulberg, gegenüber der Corvinschen Druckerei, steht schon lange nicht mehr. Hier hatte der legendäre „Onkel Otterbein“ um 1800 dem jungen Pagenstecher Herborner Gespenstergeschichten erzählt. Der Corvinsche Hof gegenüber steckte auch voll Geschichte. Aus diesem Ambiente zog der kleine Walter zur Schule, nebenan ins „Gelbe Häuschen“ oder ein paar Schritte weiter in die „Rot Schul“, wo er den Rektor Schumann erlebte, der damals die Herborner Heimatkunde pflegte und seinen Schülern gerne und reichlich Herborner Anekdoten und Sagen erzählte. Es war auch dieser Lehrer, der die schriftstellerische Begabung Walter Schwahns entdeckte und sich bemühte, ihn zu fördern.


Dies war nicht leicht. Schulbesuch nach der Volksschule war schulgeldpflichtig und Geld war zu Hause knapp. Zudem gehörte Walter Schwahn zu jener Generation, deren Leben von den beiden Weltkriegen in besonderem Maße verdüstert wurde. So musste es geschehen, dass Spendengelder, die seinen weiteren Schulbesuch ermöglicht hätten, 1923 in der Inflation verloren gingen.


Der Rektor wusste Rat und vermittelte eine Buchhändlerlehre. Deren erfolgreicher Abschluss führte freilich nicht zum Beruf, sondern in der Weltwirtschaftskrise von 1930 in die Arbeitslosigkeit. Es war die Zeit als Walter Schwahns Bruder, ebenfalls arbeitslos, für die Stadt Herborn als „Notstandsarbeit“ ein noch heute im Museum gezeigtes, gelungenes Bild der Hohen Schule malte. Walter Schwahn schlug sich durch, unter anderem mit Notstandsarbeiten im Talsperrenbau im Rehbachtal, bis er eine Stelle in der Industrie bekam, die er bis zum Eintritt in den Ruhestand im Jahre 1972 auch behielt.


Seine Stunde als Heimatschriftsteller schlug nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Herborner hatten beschlossen, 1951 das Fest der „700-Jahrfeier“ groß zu begehen und dazu auch ein Stück Heimatgeschichte auf die Bühne zu bringen. Dies gab es anderswo schon länger, war aber in Herborn Neuland. Es wurde deshalb ein Wettbewerb ausgeschrieben, den Walter Schwahn mit seinem Entwurf der „Barbara“ für sich entscheiden konnte. Der Stoff stammte aus der Herborner Sagenwelt, verbunden mit handfesten historischen Überlieferungen des Stadtschreibers Hoen aus dem Dreißigjährigen Krieg. Die Vorlagen Schwahns waren wohl die Erzählungen von Rektor Schumann um das „Spatenweiblein“, die Dramatisierung und die Gestaltung zeigen uns aber jenen Walter Schwahn, dessen sicheres Gespür für packende Szenen und machtvolles Anliegen, seinen Mitbürgern Botschaften zu übermitteln, schon damals ausgereift vorhanden waren.


Die „Barbara“ ist ein Heimatstück der besonderen Art, weil sie die sogenannten einfachen Leute in den Mittelpunkt rückt und zwar Frauen und Männer gleichberechtigt. Der Konflikt um den mit knapper Not und nicht zuletzt ausgerechnet von dem verachteten Scharfrichter verhinderten Justizmord an Barbara, lässt die gerade in der Heimatliteratur gerne paradierten Eliten aus Politik, Militär und Kirche ziemlich kläglich aussehen.


Sechs Jahre nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur hielt Walter Schwahn seinen Zuschauern einen nur leicht verfremdeten Spiegel vor die Augen: Wie es ist, wenn man aus Feigheit Unrecht geschehen lässt und wie Außenseiter mehr Anstand und moralische Kraft aufbringen als die „gesittete“ Mehrheit.


Walter Schwahn blieb der Gattung Heimatspiel und seinen Überzeugungen treu. Die aus der „Barbara“ entstandene Trilogie „Unsere kleine Stadt“ zeugt davon. Sein unbeschwertestes Stück gehört zum Spätwerk, es handelt von der legendären Wette des Grafen v. Solms-Greifenstein mit dem weltberühmten Marschall Turenne. Die beiden alten Haudegen beschließen, statt einer Belagerung des Greifenstein ein Wettsaufen um die Festung - sehr zum Entsetzen von Hofgesellschaft und Geistlichkeit aber unstreitig und historisch erwiesen eine geniale Alternative zum Dillenburger Schlossbrand von 1760!


Vielen Mitbürgern war Walter Schwahn Begleiter durch seine wöchentlichen Beiträge im Herborner Tageblatt, die mit echt Herborner Humor gewürzt von 1957 bis zu seinem Tode 1989 erschienen sind. Als „wsw.“ für immer verstummte, fand sich dafür keine Nachfolge. Walter Schwahns literarisches Lebenswerk ist ein Geschenk an seine Heimatstadt.


Rüdiger Störkel